Frankfurter Rundschau vom 18.08.2024
https://www.fr.de/politik/verhindern-traumata-frieden-93248852.html
„Die Menschen in Palästina und Israel sollten die Möglichkeit bekommen, eine Vision von einem Leben in Sicherheit und Frieden zu entwerfen,“ unterstreicht Irene Weinz, Senior Expertin im Team Frieden der Robert Bosch Stiftung und verantwortlich für Förderung im Nahen und Mittleren Osten.
(…)
In Israel und Palästina sind der Angriff des 7. Oktober 2023 wie auch der darauffolgende Gaza-Krieg herausstechende Ereignisse, die sowohl einzelne Menschen als auch ganze Bevölkerungsgruppen traumatisiert haben. Diese kollektiven Traumata addieren sich zu den traumatischen Erfahrungen, die die Geschichte beider Bevölkerungsgruppen und der Region prägen:
420 000 Überlebende des Holocaust fanden bis 1951 eine Heimat in Israel und machten damit ein Viertel der Gesamtbevölkerung des 1948 gegründeten Staats aus. Im selben Jahr wurden während der Nakba circa 750 000 Palästinenser:innen aus ihrer bisherigen Heimat vertrieben, etwa 80 Prozent der damals auf israelischem Staatsgebiet lebenden palästinensischen Bevölkerung. ….
Die für den Bundeshaushalt 2025 vorgesehenen massiven Einschnitte in der Förderung von Friedensarbeit sind das falsche Signal. Friedensaktivitäten und Begegnungen auf lokaler Ebene sind die Basis dafür, dass Frieden trotz erfahrener Traumata auch dauerhaft möglich wird.
Um weitere Traumatisierungen in diesem Konflikt zu vermeiden, muss zunächst die Gewalt aufhören. Dazu gehört die Beendigung jeglicher Kampfhandlungen sowie die Befreiung der israelischen Geiseln. Auch die seit Jahren stetig steigende Gewalt von Siedler:innen und Militärs
gegen Palästinenser:innen im Westjordanland muss ein Ende finden. Seit vielen Jahren arbeiten engagierte Peacebuilding-Organisationen wie zum Beispiel die Mitglieder der Alliance for Middle East Peace daran, auf lokaler und nationaler Ebene Begegnungen zwischen Menschen israelischer und palästinensischer Herkunft zu ermöglichen. Diese Begegnungen dienen dazu, der Entmenschlichung der anderen Seite, Vorurteilen und Hass entgegenzuwirken. Eine wesentliche Voraussetzung ist: das Leid des anderen wahrzunehmen und anzuerkennen.
Oftmals arbeiten die Organisationen zunächst innerhalb der jeweiligen Gruppe – um die belastenden Ereignisse in einem vertrauensvollen Rahmen aufzuarbeiten und der Auseinandersetzung mit individuellen und kollektiven Traumata Raum zu geben. In Gesellschaften, in denen Traumata oft stigmatisiert oder ignoriert werden, ist dies ein nicht zu unterschätzender Schritt.
Gleichzeitig gilt: Die Zukunft steuert die Gegenwart. Die Menschen in Palästina und Israel sollten jetzt die Möglichkeit bekommen, an ihrer Zukunft zu arbeiten und eine Vision von einem Leben in Sicherheit und Frieden zu entwerfen, unbenommen von politischen Agenden. Wenn die Menschen dieses – im besten Fall verbindende – Ziel vor Augen haben, können sie im Kleinen Schritt für Schritt darauf hinarbeiten, und Rückschläge und Hindernisse erscheinen handhabbarer.
Am Beispiel Südafrika zeigt sich, wie wichtig das ist. Bereits seit den 1950er Jahren entwickelten Bürger:innen dort einen neuen Gesellschaftsentwurf. Und noch während die Truth and Reconciliation Commission in den 1990er Jahren die Verbrechen der Vergangenheit aufarbeitete, wurde diese neue Gesellschaft Realität.
Dabei ist externe Hilfe notwendig: Die internationale Gemeinschaft und gerade auch Deutschland sollten zivilgesellschaftliche Organisationen und Peacebuilder:innen aus Israel und Palästina dabei unterstützen, sichere Räume zu schaffen, in denen Menschen sich begegnen und gemeinsam an einer friedlichen Zukunft arbeiten können.
Die für den Bundeshaushalt 2025 vorgesehenen massiven Einschnitte in der Förderung von Friedensarbeit sind das falsche Signal. Friedensaktivitäten und Begegnungen auf lokaler Ebene sind die Basis dafür, dass Frieden trotz erfahrener Traumata auch dauerhaft möglich wird.